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Die Herausforderung der Selbstorganisation.

Aktualisiert: 5. Feb. 2021



Bis 2016 war ich ja angestellt und mein Arbeitstag zeitlich gesehen ziemlicher Standard, also sagen wir mal so circa 9:00 - 18:00 mit einer Stunde Pause von 12:30 - 13:30 Uhr.


Komplett fremdbestimmt und es gab daran im Grunde auch wenig zu rütteln und zu schütteln. Das war halt so.

Seit ich selbstständig bin kann ich mir meinen Arbeitstag selbst strukturieren.



Struktur schaffen.


Naja, erst einmal war das gar nicht so einfach und, wie ich erfahren durfte und immer noch darf, ist auch das im Grunde ein fortlaufender Prozess.


Die erste Zeit beließ ich also zunächst einmal alles beim Alten und saß gestriegelt und gebügelt um 9:00 Uhr an meinem Schreibtisch, im Laufe des Tages machte ich mir zwischendurch mal einen Kaffee und zur gewohnten Zeit eine Mittagspause… Jedoch nicht unbedingt wie üblich machte ich Feierabend.


Wenn ich's genau betrachte, mach ich im Grunde bis heute gar keinen klassischen Feierabend mehr. Also natürlich klappe ich irgendwann das Laptop zu, gehe aus am Abend, treibe Sport, geh zum Saxophon-Unterricht, treffe Freunde oder koch' mir was Leckres und genieße den Abend.


Es kann aber gut sein, dass ich zu späterer Stunde auch das Laptop nochmal aufklappe...



Wertschätzung der Zeit.


Meinen "Feierabend", also vielmehr meine Ruhephasen, nehme ich mir dann, wenn ich sie brauche, das kann auch mal mitten am Tag sein. Genauso arbeite ich am Wochenende und mach' dann eben unter der Woche mal frei.


Und sowieso, wenn es etwas zu Feiern gibt, dann mach ich das, egal an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit. „Feierabend" kommt übrigens aus dem Spätmittelhochdeutsch und bezeichnet eigentlich den „Vorabend eines Feiertags“. Ich deute das für mich so: Jeden Abend feiern, dass morgen wieder ein neuer Tag ansteht, das iss Grund genug zu Feiern und so komme ich aus dem Feiern gar nich mehr raus.

Meine Wahrnehmung und mein Empfinden von Zeit hat sich mit meinem Umbruch in 2016 und mit meiner Selbstständigkeit massiv verändert. Nicht dass ich Zeit und Lebensjahre vorher nicht geschätzt hätte, aber ich hab noch einmal eine ordentliche Schippe an Wertschätzung draufgelegt.


Unser subjektives Zeitempfinden hängt mit unserem Alltag zusammen, je monotoner und routinierter dieser ist, desto schneller vergeht gefühlt die Zeit und Weihnachten steht von Jahr zu Jahr schneller vor der Tür. In meinem täglichen Leben hat sich die letzten Jahre sehr, sehr viel verändert und ich lerne jeden einzelnen Tag etwas Neues dazu, meine Entwicklung ist enorm, ich kann es selbst manchmal nicht glauben und schaue daher sehr bewusst auf meine einzelnen Schritte und Etappen zurück.


Für mich ist interessant zu beobachten, dass neben meinem Lebensjahr (vom 30.3. bis 30.3.) auch das Kalenderjahr eine neue Tiefe für mich hat, obendrein ein Geschäftsjahr ist und dadurch eine neue und zusätzliche Bedeutung hat. Jedes Quartal, die einzelnen Monate, Wochen und Tage und zwar alle 365 Tage des Jahres. 

Je nach Bundesland hat es ja zwischen 248 und 255 Arbeitstage im Jahr, 2020 sind's in Hamburg 255. Das errechnet sich aus 366 Kalendertagen abzüglich 52 Samstage und 52 Sonntage, sowie 7 gesetzliche Feiertage, die nicht aufs Wochenende fallen. Und dann zieht jeder Arbeitnehmer noch seine vertraglich vereinbarten Urlaubstage ab, welche es für mich natürlich seit der Selbstständigkeit nicht mehr gibt, aber wenn ich einen oder mehrere Tage frei brauche oder will, dann mach ich diese natürlich frei, aber das variiert eben. Mal angenommen ich wäre noch angestellt, müsste ich 2020 also an circa 225 Tagen arbeiten und hätte 141 Tage zur freien Verfügung für was auch immer.



365 + 1 in 2020


Mein Jahr 2020 hat 366 Tage. Punkt. Dank des Schaltjahres 1 Tag mehr. YEAH!


Ich teile mein Jahr, mein Leben nicht mehr auf in Arbeitszeit und Freizeit und balanciere dann Work und Life aus. Ich vermische beides und es entsteht so eine Art Cuvée!


Du denkst jetzt vielleicht: "Boah, ey, wie ätzend, ich bin froh wenn ich abends den Stift fallen lassen kann, am Wochenende nix mit Arbeit am Hut habe, XX Tage Urlaub im Jahr nehmen kann und fix gesetzt mit soundsoviel Jahren in den Ruhestand gehe - und dann hau ich aber so richtig auf die Pauke."


Genau die gleichen Gedanken hatte ich in meinem "alten Leben" tatsächlich auch und hab mir regelmäßig ausgerechnet, wieviel Jahre es denn verflixt nochmal noch sind bis zur Rente?

Irgendwann wurde mir dann aber bewusst, dass ich immer unzufriedener wurde im Job/Work und sich das leider auch auf mein allgemeines Wohlbefinden niederschlug und ich konnte die freie Zeit/Life gar nicht mehr so richtig genießen. Ich dachte nämlich in meiner Freizeit an die Arbeit, leider nicht mehr unbedingt im Guten. Die Feierabende waren dann nur halb so schön, vorallem die Abende an denen der Großteil der Arbeitswoche noch vor mir lag - der Freitag war folglich immer der Beste. Und genauso dachte ich bei der Arbeit an die Freizeit, sehnte sie mir herbei und kaum war sie da, war sie auch viel zu schnell schon wieder vorbei.


Auch die Wochenenden waren nur zur Hälfte richtig cool, denn bereits am Sonntag dachte ich schon an den Montag und je fortgeschrittener der Sonntag, desto mehr zog sich mir dann der Magen zusammen und spätestens mit dem Ende des "Tatort" war die Stimmung endgültig im Keller. Und von der Nacht von Sonntag auf Montag ganz zu schweigen... Ich kann es gar nicht genau sagen, aber bis sich dieser irgendwie in mir fest verankerte Automatismus geändert hatte, das dauerte erschreckenderweise tatsächlich einige Monate, wenn nicht gar Jahre. Mittlerweile schlafe ich auch in diesen Nächten wie ein rundum zufriedenes Baby.


Urlaub: Das war früher schön und gut und ich konnte eigentlich immer ganz gut abschalten, aber die Bürotage vorher waren der blanke Horror mit Urlaubsübergabe und alles und die ersten Tage hinterher gleichermaßen mit EMails-Abarbeiten und alles. Ach, und schon im Urlaub, kaum war Halbzeit, verging die verbleibende Zeit wie im Fluge und es kam dieses üble sonntag-ähnliche Gefühl in der Magengegend auf.



Energiespender.


In meiner Anfangszeit als Selbstständiger behielt ich also zunächst einmal meine über Jahre gelernte Struktur bei. Ich hatte die Befürchtung, wenn ich nicht diszipliniert wäre, würde ich bestimmt verloddern. Heute weiß ich: völliger Blödsinn!

Auf der anderen Seite fiel es mir schwer, ähnlich diszipliniert zu sein und Arbeit auch mal Arbeit sein zu lassen, mir echte Pausen, Auszeiten, Ruhephasen zu gönnen.


Auch wenn ich meine Arbeit nicht mehr als Arbeit empfinde, benötige ich durchaus viel Energie für meinen Tag und ich muss mein Akku zwischendurch aufladen. Glücklicherweise ist es eine ganz andere Art von Energie und ich bekomme beim Einsatz dieser Energie automatisch wieder neue Energie zurück. Und ich verschwende meine kostbare Energie nicht länger fürs bloße Funktionieren, Performen, Mitlaufen, Rollespielen, Aufraffen, Klarkommen, Mir-Dinge-Schönreden, Mir-nichts-Anmerken-Lassen, Mir-selbst-und-anderen-was-Vormachen, Gute-Miene-zum-Bösen-Spiel-Machen, Chef-Ich-Find-Dich-Toll-Tuen… 


Individueller Rhythmus.


Alles ist ein Prozess, auch seinen eigenen Rhythmus zu finden. Als Selbstständiger bin ich in der wunderbaren Situation meinen individuellen Rhythmus tatsächlich auch suchen und danach leben zu können. Ich kann also morgens auch mal länger in der Koje bleiben und abends länger an Deck. Ich kann generell aktiv sein zu Uhrzeiten und in Zeiteinheiten in denen ich wach bin, produktiv und kreativ.


Das ist nicht nur überaus angenehm und gesund, sondern auch effektiv!

Beispielsweise bin ich morgens recht früh wach, Uhrzeit egal. Ich setze mich im Bett auf und plane den bevorstehenden Tag. Welche Termine stehen heute an? Was ist bei den einzelnen Projekten als Nächstes zu tun? Ich hole mir eine Tasse Tee ins Bett und da mir häufig entweder mitten in der Nacht eine Idee kommt, zu der ich meist ein paar Stichworte in ein kleines Notizbuch schreibe oder ein interessanter Gedanke wenige Sekunden nach dem Aufwachen, bringe ich das erst einmal zu Papier.



Zeit für mich.


Tagesformabhängig hole ich mir dann gegebenenfalls noch einen Kaffee ins Bett und auch eine Schüssel Müsli oder ein Joghurt mit Obst und dann wird im Bett erstmal gefrühstückt. Dazu höre ich eine interessante Podcast-Folge oder klappe auch schonmal das Laptop auf und checke EMails und meine Social Media-Kanäle.


Ich gehe mit meiner „Community“ in einen ersten Austausch und häufig gibt dann ein Kommentar den nächsten und die Zeit vergeht wie im Fluge - wie das halt so ist. Hier schaue ich dann schonmal auf die Uhr, aber der Austausch mit meinen Kunden, meiner Zielgruppe, Gleichgesinnten und einfach netten und freundlichen Menschen gehört ja zu meiner Arbeit und das ist auch gut so!

Dann gehts ins Bad und unter die Dusche, danach in die Küche und ich press' mir einen frischen O-Saft. Am Stehtisch in der Küche arbeite ich gern, weil a) die Küche mein Lieblingsort in meiner Wohnung ist und b) meinem Rücken das Arbeiten im Stehen guttut. Genau hier entstand vor ein paar Tagen dann auch sehr spontan dieser Text.


Im Verlauf des Tages sitze ich dann meist auch einige Zeit am Schreibtisch, am großen Monitor arbeite ich gern. Außerdem hab ich dort eine kleine Vase mit Blümchen stehen und blicke durchs Fenster in die Kastanie vorm Haus. Ein weiterer mir sehr lieber Arbeitsplatz ist mein Esstisch in der Stube, am großen Fenster mit Blick auf meinen Balkon. Es ist einfach herrlich je nach Lust und Laune den passenden Platz zum Arbeiten einzunehmen.

Auch die Kaffeepausen werden flexibel eingelegt je nach Kaffeedurst und dem Bedürfnis nach einer Pause. Früher im Angestelltendasein erinnere ich, hab ich unzählige solcher Pausen eingelegt, nicht selten waren es ehrlicherweise auch kleine Fluchten ausm Büro: weg vom Telefon, weg von der Arbeit, weg von den Kollegen. Timeout! Ich war genervt, gestresst und brauchte zwischendurch mal meine Ruhe und Zeit für mich - erst heute gestehe ich mir das ehrlich ein - ohne schlechtes Gewissen.


Kostbare Lebenszeit.


Den persönlichen Rhythmus zu finden iss erstaunlicherweise gar nicht so leicht und gelingt vorallem nich von heut' auf morgen. Ähnlich schwierig verhält es sich mit der individuell idealen Struktur für den Tag und es ist vorallem nicht leicht eine über Jahre hinweg gelebte - ob gewollt oder nicht gewollt - Struktur zu hinterfragen, anzupassen, zu ändern.


Für mich brauchte es einige Zeit und auch Mut vorallem mir selbst gegenüber, mir überhaupt zu erlauben, zum Einen nicht wie ein Großteil der Erwerbstätigen, die Nine-To-Five-Struktur automatisch, ungeprüft zu übernehmen - wird schon passen und Sinn ergeben, wenn es alle Welt so macht. Zum Anderen anzuerkennen, dass ich eben auch arbeite, wenn ich zum Beispiel aufm Balkon in der Sonne sitze. Das tue ich gern, denn es fühlt sich ja nicht wie Arbeit an. Ich habe eben keinen Beruf mehr, mit diversen Aufgaben die ich in meiner vertraglich festgelegten und monatlichen Gehalt entlohnten Arbeitszeit abarbeite, ich lebe jetzt meine Berufung und das mit vollen Herzen, ganzer Seele und Verstand und dafür braucht es schlicht und ergreifend meinen eigenen Rhythmus und meine individuelle Struktur.


Arbeitszeit ist Lebenszeit und die ist kostbar. 


Ich hab ja so einen Spleen und überlege oft, wie ich mich auf dem Sterbebett fühlen möchte, also abgesehen von den Gründen weshalb ich dort liege - aber wenn ich zurückblicke auf mein Leben, wie möchte ich mich dann dabei fühlen? Mit dieser Übung denke ich heute schon an morgen und agiere, entscheide, handle und lebe entsprechend meinem avisierten Ziel.

It's up to you!


Herzlichst,

Deine Martina



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